Es war Spätherbst 2004, als mich Yves Niedermann spontan fragte, ob ich auch mitkäme an den New York Marathon im November 2005. Da ich im Alltag immer zu wenig Zeit für Sport hatte und sich die Kilos um meinen Bauch eher ansetzten, sagte ich spontan zu. Ich sah dies als Ziel und Chance, mehr Aktivität machen zu dürfen oder auch zu müssen.
So meldeten wir uns definitiv für unseren 1. Marathon in New York an, die Königsetappe in dieser Disziplin. Jährlich nehmen über 37'000 Athleten am populärsten Marathon der Welt teil. Da die Teilnehmer pro Land kontingentiert sind, wussten wir nicht sofort, ob wir auch wirklich eine Startnummer bekommen. 87'000 Athleten hatten sich für den Lauf 2005 beworben, 54'000 wurden selektioniert und 37'000 aus 103 Ländern wurden zum Rennen erwartet.
Drei weitere Freunde von Yves aus Lucerne sagten auch zu und so waren wir ein Fünferteam. Wir nahmen das Training am 1.1.05 zum Neujahr mit dem guten Vorsatz auf. Initiant Yves Niedermann ist Geschäftsinhaber der Star Nails in Obernau und Luzern. Als dritter im Bunde meldete sich Mino Epifani an, der in Luzern am Bundesplatz im Dezember 2005 eine Bar eröffnet hat. Im weiteren war Gertjan (Gerry) Krijnen, Physio- und Manualtherapeut OMT und seit 2000 Mitinhaber der Gesundheitspraxis Löwen Center in Luzern. Nummer fünf in der Reihe ist Godi Schöpfer. Er schlägt uns alle! Unterdessen kann er schon auf mehr als 65 Jahre Lauferfahrung zurückgreifen. Und natürlich meine Wenigkeit, Matthias Bachmann, Mitinhaber der Confiseur Bachmann AG in Luzern.
Nachdem ich mich damals gleich mit Büchern zum Thema Marathon eindeckte, wurde mir schnell bewusst, dass die Vorbereitungszeit tatsächlich gut ein Jahr dauern wird. Zuerst hatte ich mir alles einfacher vorgestellt, denn gerne gejoggt habe ich schon immer. Übergewichtig war ich zwar nicht, aber beim Joggen im Tempo von 10km/h war mein Puls definitiv zu hoch (weit über 160 Schläge pro Minute).
Ich fühlte mich hilflos und ich wusste nicht genau, wie man das Training richtig aufbauen muss. Michel Moor vom Business Gym in Luzern bat ich dann um Hilfe und so nahm alles seinen richtigen Lauf. Vom Kraftaufbau, über Tempoläufe, Ausrüstung und Gelenkübungen wurde ich sehr gut beraten und bekam auch richtig Spass daran. 3 - 4 Lauftrainings pro Woche waren angesagt, plus 1 x Kraftaufbau.
Ende Mai 2005 kam der erste richtige Lauftest. In Winterthur nahmen Mino, Gerry und ich an den Schweizer Marathon-Meisterschaften teil. Wir dachten, warum nicht gleich im grossen Stil! Jedoch beschränkten wir uns auf die Halbmarathonstrecke. Mit der Zielzeit von 1:43 Std. war ich vorerst zufrieden. Vor allem die Erfahrung war mir sehr viel wert. Gerry lief knapp unter 2 Std. und Mino gerade darüber. Die äusseren Bedingungen waren bei 32 °C weit vom Ideal entfernt. Zudem plagte mich mein Heuschnupfen. Wir verloren viel Wasser, was bei jedem Wasserstopp wieder getankt werden musste. So wussten wir danach ungefähr, wo wir standen und zu was wir fähig waren. Natürlich mit dem Bewusstsein, dass in New York diese Distanz zwei Mal gelaufen werden muss, aber wir hatten ja noch ein bisschen Zeit.
Beim weiteren seriösen Training durfte ich davon ausgehen, dass für mich eine Zeit für den Marathon von 42 Kilometern zwischen 03:30 - 04:00 Std. realistisch ist. Im Internet begannen wir uns individuell immer mehr zu informieren und tauschten verschiede Tipps aus. Das Training umfasste inzwischen 4 - 5 Einheiten pro Woche plus 1 x Krafttraining. Für den Trainingsplan orientierten wir uns nach den Angaben von www.laufszene.de und www.ryffel.ch.
Am Samstag, 17. September 2005, war der zweite grosse Test für unsere Gruppe. Der Greifenseelauf stand auf dem Programm. 21 km und noch ein paar kleine Anzahl Meter mussten rund um den wunderbar gelegenen Greifensee in so kurzer Zeit wie möglich absolviert werden. Herr Markus Ryffel, unser New York-Begleiter, informierte uns vor dem Lauf in einem Workshop hervorragend über alle Einzelheiten zum Marathon im fernen Amerika.
Wir waren sehr froh um diese Informationen und freuten uns umso mehr. Die äusseren Bedingungen waren laut Markus Ryffel (Ryffel Running), optimal. In Uster herrschten angenehme 13 °C, und es regnete nur ab und zu kleine Tröpfchen. Voll guten Mutes begannen wir das Rennen. Eine Woche vorher hatten wir noch einen Lactat-Test in der Praxis von Gerry durchgeführt und wir wussten genau, wo unsere Muskelübersäuerung beginnen würde. Auch der vorgängig absolvierte und bekannte Conconi-Test half uns den Körper und seine Reaktionen einzuschätzen. Unsere Resultate:
Der grosse Tag naht und das komische Gefühl im Magen wird immer deutlicher. Uns verbleiben noch neun Tage bis zum New York Marathon. Ich habe nun begonnen zusätzlich Magnesium einzunehmen für die Muskeln. Auf der Waage war ich inzwischen unter 70 kg angelangt. Anfangs Jahr waren es noch 77. Beim Joggingtempo von 10km/h ist mein Puls inzwischen auf 130 Schläge pro Minute heruntergekommen, anfangs Jahr war er noch bei ca. 168 Schläge in der Minute. Das Formziel war erreicht und auch das Körpergewicht war für meine Grösse von 180 cm auf einem Ideal. Schliesslich möchte ich ja nicht unnötige Kilos 42 km lang mitschleppen.
Die Vorbereitungen waren gut. Alle haben wir versucht das Beste rauszuholen. Hie und da machen sich aber auch leichte Verschleisserscheinungen bemerkbar. Mal spürt jemand die Hüfte, mal sind es die Waden, die nicht so mitmachen wollen. Liegt es an der Ernährung? Gerry von der Gesundheitspraxis Löwen Center informierte uns immer über seine neusten Erkenntnisse. In diesen letzten Tagen achten wir besonders drauf, dass wir genügend Kohlenhydrate zu uns nehmen.
Am Donnerstagmorgen um 10.00 Uhr flogen wir von Zürich ab Richtung New York. Da am Arbeitsplatz das Weihnachtsgeschäft bereits begonnen hatte, musste ich meine Abwesenheit zuerst verdienen und über Tage hart vorarbeiten. So hatte ich die Nacht zuvor nur 3 Stunden Schlaf.
Nach 9 Stunden endlich die Landung. Wir konnten uns im Airbus der Swissair sehr gut unterhalten mit anderen Läufern. Auf dem JFK-Flughafen gab es noch etwas Einwanderungsbeschwerden für Gerry. Danach holten wir sogleich die Startnummer ab.
Nachdem wir unser Quartier im Hotel bezogen hatten, bekamen wir unter der fachkundigen Anleitung von unserem "NY-Veteranen" Yves, der schon ein paar Mal in New York war, die ersten Eindrücke; lärmig, hektisch und alles hoch oder noch höher.
Am nächsten Tag folgte dann eine wichtige Instruktion der Reiseleitung von Markus Ryffel. Wir übten den Zieleinlauf. Ein lächerlich kleiner Anstieg im Central Park führt zum Ende der 42,195 km. "Gut die Arme hochheben, damit deine Nummer sichtbar ist", diese Worten wurden von uns schmunzelnd zur Kenntnis genommen.
Dann war es soweit. Der Tag "X", am 6.11.2005 brach an. Hierfür hatten wir also neun bis zehn Monate trainiert! Schon am Abend vorher wurde alles sorgfältig bereit gelegt. Den Chip für die Zeitnahme vorsichtig zwischen die Schuhbändel eingeschnürt und die Startnummer bereits perfekt auf das Shirt montiert. Die Nervosität stieg förmlich. Um 05.00 Uhr hiess es Tagwache. Das Frühstück war gut überlegt, denn schliesslich wollte man keine unnötigen Ballaststoffe mehr zu sich nehmen. „No Risk“ war das Motto und wir assen nur, was wir bestens kannten.
Um 06.30 Uhr verliessen wir das Hotelzimmer. Bekanntlich bekleidet man sich warm, weil man im Startbereich lange warten muss. Deshalb werden alte Kleider angezogen, die man kurz vor dem Start wegwerfen kann. Diese werden dann eingesammelt und an Arme und Obdachlose verteilt. Nur waren viele anwesende Italiener aber der Meinung, dass Mino eine Art Blasphemie betrieb, als er dann sein altes Juventus-Shirt weglegte. Er platzierte es aber schön sichtbar an einem Gartenhag im Startgelände. Prompt nahm es ein italienischer Läufer hinter sich wieder ab und zog es an. Mino sprach ihn an und der andere meinte, ca. 10 km könne er schon damit rennen, wenn es dann aber zu heiss werde, lege er es ab.
Die äusseren Bedingungen waren nicht so optimal wie am Greifenseelauf. Obwohl es beim Start nur 12 °C war, lag die Luftfeuchtigkeit bei 96 %. Da ich beim Start noch rasch auf die Toilette musste, verlor ich die anderen vier. Trotz den hunderten von Toiletten musste man extrem anstehen.
Es herrschte grosse Aufregung. Um 10.05 Uhr stand ich mitten auf dem Startplatz umgeben von Läufern aller Nationen und fühlte mich in Top-Form. Alles stimmte und nach einer Anrede erklang der lang ersehnte Startknall um Punkt 10.10 Uhr. Unvergesslich der Moment. Der Knall, der mir so viele Mal bei den langen Läufen im Schnee, im Hochsommer bei 35 °C oder am Abend, als es stockdunkel war und ich noch um die Horwerinsel joggte, durch den Kopf ging.
Mit weiteren 37'000 Läufern begannen wir dann mit den schier endlosen 42,195 km. Zuerst ging es gleich über die bekannte Verrazano-Narrows-Brücke, die längste Hängebrücke der Welt. Da ich mich im Startgelände ziemlich weit nach vorne schleichen konnte, ging es gleich zügig voran. Ich genoss es förmlich, und der Nebel tat sich auf. Diverse Helikopter kreisten um uns herum.
Wir kamen dann nach Brooklyn, wo die 4th Avenue abgelaufen werden musste Richtung Queens bis zu der berühmt berüchtigten Queensborough-Bridge. Über diese Brücke kommt man nach Manhattan und ist dann gleichzeitig auf der 1/2-Marathon Distanz.
Die Menschenmenge an den Strassenränden war gewaltig. Wenn ich am Rand nach joggte riefen alle „GO MAT“ und streckten die Hand aus. Alle 300 Meter spielte eine andere Band am Strassenrand. Na gut, wo kriegt man schon so schnell 37'000 Zuhörer her. Die Bands wie wir gaben alles. Bis zu Kilometer 22 zeigte meine Polar-Uhr eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 13,1km/h. Ich war bei den Zwischenzeiten schneller als die von mir ausgerechneten Zeiten für den Zieleinlauf in 3:25 h. Ich fühlte mich immer noch top-fit und rechnete mir schon aus, dass ich es sogar in 3:15 schaffen könnte. Ich konzentrierte mich aber auch darauf, nicht zu schnell zu laufen, und der Puls war konstant auf 167 Schläge pro Minute. Meine Übersäuerung sollte erst bei 175 einsetzten und so fühlte ich mich sicher. In Manhattan kamen wir dann auf die 1st Avenue.
Doch es kam alles anders. Kurz nach der ersehnten Halbzeit hatte ich nicht mehr das Gefühl, ich "fliege" über die Strassen. Die Temperatur zeigte auf meiner Uhr inzwischen 24 °C und ich verlor viel Wasser, obwohl ich jede Meile die Gelegenheit packte einen Schluck zu nehmen an den Wassertankstellen, welche übrigens hervorragend organisiert waren. Auch der zweite Power-Gel war bereits in meinem Magen. Ein leichtes Schwindelgefühl überkam mich und ich wusste, dass der Leidensweg jetzt begann. Es gab Momente, wo mein Körper zu frieren begann trotz der Hitze, und es gab Momente, wo ich mir auch bewusst wurde, dass der Zieleinlauf nicht 100 % sicher ist.
Am linken Innenfuss störte mich plötzlich ein Brennen. Ich dachte, der Socken hätte sich überlappt. Es nervte mich derart, dass ich drei Mal anhielt und ihn kräftig hochzog. Beim dritten Mal jedoch so stark, dass er riss. So spürte ich bei jedem Schritt meinen linken Innenfuss. Der Körper meldete nun immer mehr Problemzonen, welche sich mit Schmerz zum Ausdruck brachten. Mal das Knie, dann der obere Beckenbereich, dann wieder ein Krampf im Arm etc. Teilweise so stark, dass ich die Blasen inzwischen auch am rechten Innenfuss gar nicht mehr spürte. Ich konzentrierte mich jedoch immer nur auf das Weiterrennen. Solche Probleme hatte ich bei meinen Dauerläufe von drei Stunden in der Schweiz nie und darum war ich auch leicht verunsichert. Natürlich waren diese Läufe auch lockerer im Tempo und nicht so lang. Über die Distanz von 30 Kilometer war ich noch nie gerannt und wusste somit auch nicht, was alles noch auf mich zukommt.
Die 2,5 Mio. Zuschauer feuerten an wie wahnsinnig und riefen immer wieder „GO MAT“. So war ja mein T-Shirt angeschrieben. Ab und zu tauchten plötzlich wieder Schweizerfahnen auf, was einem Kraft und Stolz gab. Ich merkte, dass ich jetzt die Kraft weder für einen Blick, noch ein Zuwinken hatte. Ich musste mich konzentrieren und suchte die Mittellinie der langen Boulevards.
Ich nahm mir eigentlich vor, ab Kilometer 30 mit dem leichten Endspurt zu beginnen. Doch ich war dann froh, dass ich überhaupt noch rennen konnte. Die Verlockung einfach zu laufen war nie so gross. So nahm ich mir dann vor, mit dem Spurt bei Kilometer 35 zu beginnen.
Nach der Bronx folgte wieder Manhattan. Jetzt auf der 5th Avenue, die gleichzeitig das letzte Ende ist vor dem Einlauf in den Central Park. Hier sieht man alles: Läufer, die noch frisch und fröhlich ihre letzten Meilen abspulen, aber auch welche, die neben der Strasse liegen und sich trotzdem ins Ziel würgen möchten. Ganz sadistisch steigt die 5th Avenue an bis zum Central Park. Nur der geringste Gedanke ans Aufgeben wird dir aus dem Hirn gebrüllt durch die Zuschauer. Man bekommt das Gefühl, dass sie dich über die Ziellinie tragen wollen.
Bei Kilometer 35 war die Erschöpfung noch grösser, und die Durchschnittsgeschwindigkeit ging auf 12,6 hinunter. Ich wusste, dass ich für die Zeit von 3:30 12,3 km/h laufen müsste.
Bei der Anzeige der letzen 3 Meilen dachte ich mir 'nur noch 3 Meilen', beim Rechnen merkte ich jedoch, dass dies immer noch gut 30 Minuten sind! Die Oberschenkel schmerzten inzwischen richtig. Ja, und dann kommt der letzte Anstieg im Central Park. Dieser berühmte Anstieg vor der Finish-Linie, den wir zwei Tage vorher mit Markus Ryffel noch geübt hatten.
Ich rannte zwar noch, war aber nicht mal mehr in der Lage die letzten 100 Meter zu spurten. Einzig die Arme kriegte ich noch einigermassen hoch. Ich hätte keine Sekunde schneller rennen können und habe wirklich alles gegeben. Der Zieleinlauf war förmlich erlösend wie nichts anderes, was ich schon erlebt habe.
Schlimm war nachher noch der leichte Anstieg zum Materialwagen, wo man seine trockenen Kleider abholen konnte. Aber dieser leichte Anstieg wurde versüsst durch eine freundliche junge Dame, die uns eine Medaille um den Hals hing und eine Thermoplache abgab.
Noch schlimmer war die Entdeckung danach, dass New York nicht nur hohe Wolkenkratzer hat, sondern auch hohe Bürgersteige. Beim Überqueren der Strasse machte das Hinunter- und Heraufsteigen Probleme und Schmerzen. Es wurde im Vorfeld schon etwas über Muskelkater erzählt und über Mühe beim Treppenlaufen nach dem Marathon. Wir wissen jetzt, was damit gemeint war!
Natürlich Hut ab für Godi! Zuerst hatten wir gemeint, wir müssen im eindunkelnden Central Park Godi suchen. Doch er kam mit sensationellen 6 Std. und 22 Minuten ins Ziel. Am Abend sind wir in Minos „Favorite“-Restaurant essen gegangen und haben miteinander angestossen auf den guten Ablauf unseres Unternehmens am 2005-er New York Marathon.
Nach einer kurzen Rückreise sind wir nun wieder in der Schweiz in Luzern. Yves hat schon laut verkündet, dass er keinen Marathon mehr läuft. Nachher hat er doch wieder überlegt, wie er noch schneller laufen kann über diese 42’195 Meter! An dieser Stelle möchte ich allen meinen vier Freunden herzlich danken für die die wundervolle Zeit in New York aber auch die Idee, die Vorbereitungszeit, den Gedankenaustausch und die tolle Freundschaft. Ein spezielles Dankeschön richte ich aber an meine liebe Frau Piera für das Verständnis der vielen Trainings sowie die Unterstützung und die Motivation. Dank geht auch an das Ryffel-Running-Team für die professionelle Betreuung und Beratung.
Die Worte vom ehemaligen Weltklasseläufer Emil Zatopek kann ich somit bestätigen: „Wenn du laufen willst, lauf eine Meile. Wenn du ein neues Leben entdecken willst, lauf einen Marathon“.
Matthias Bachmann
Zum Erlebnisbericht von Gerry: Homepage Physio Luzern