Dies ist der vierte und letzte Marathon in diesem Jahr für mich. Vier an der Zahl sind definitiv zu viel, will man sich auf jeden einzelnen Lauf seriös vorbereiten. Die Erfahrung war es jedoch wert, die körperlichen Grenzen herauszufordern und diese zu spüren. Gleichzeitig sollte der Lucerne Marathon mein kleines 10-Marathon-Jubiläum werden :-)
Vor vier Wochen nahm ich am Genfer Marathon teil. Das war zeitlich zu knapp vor der neuen Herausforderung am Sonntag in Luzern. Mein persönliches Trainingsprogramm auf www.vicsystem.ch (programmiert auf drei Trainingseinheiten pro Woche) „reklamierte“ prompt bei der Planungseingabe, dass dies nicht ginge. So definierte ich den Marathon in Genf als Trainingslauf, was dann akzeptiert wurde. In Genf lief es so geschmiert, dass die Endzeit von 3:16 h meine „PB“ (persönliche Bestzeit) wurde.
Gleich in der Woche nach Genf nahm ich mein Training wieder auf. Die grosse Anstrengung ging jedoch nicht spurlos an mir vorbei, und vor allem meine Beinmuskeln begannen zu „streiken“. Diese Muskelverhärtungen klangen nicht erwartungsgemäss ab und beunruhigten mich, je näher der Lucerne Marathon rückte. Vor allem musste ich auf wichtige Dauerläufe verzichten. Zwei Läufe musste ich sogar nach gut zehn Kilometer abbrechen, da sich der Muskel immer wieder zusammenzog. Ein Muskelkrampf war immer sehr nahe.
Nebst Basengetränken war jetzt vor allem Magnesium hoch im Kurs auf meinem Trinkplan. Die Unsicherheit, ob es für den Lucerne Marathon reicht, löste in mir gemischte Gefühle aus.
Am Samstagmorgen absolvierte ich einen 6 km-„Kurzjogg“. Davon zwei Kilometer mit Marathontempo. Die Regeneration schien zu wirken, und so konnte ich mich auf den Sonntag mit einem guten Gefühl ohne Zweifel wieder so richtig freuen. Es grenzt schon an ein Wunder, wie schnell sich der Körper regenerieren kann. Dies zu spüren und zu beobachten macht den Reiz, einen Marathon zu bestreiten, selbst schon aus.
Der Wetterbericht auf Sonntag war vielversprechend: kühle Temperaturen, trocken und kein Regen. Die perfekten Laufbedingungen (wie im Vorjahr).
Mein Wecker klingelt um 07.00 Uhr. Da wir durch einen Heizungswechsel im Haus prompt keinen Tropfen warmes Wasser in der Leitung haben, muss ich schon in der frühen Morgenstunde den ersten Durchhaltewillen zeigen. Dafür bin ich aber sehr schnell hellwach.
Unweit unseres Wohnortes liegt die Haldenstrasse, wo um 09.00 Uhr Viktor Röthlin den 2. Lucerne Marathon eröffnen wird. Auf dem Weg dorthin steigt meine Nervosität. Im Startgelände befindet man sich nur noch unter „Gleichgesinnten“. Man spürt die Solidarität, Freude und den Zusammenhalt förmlich. Die Stimmung kann besser nicht sein.
Der gestaffelte Start im Zweiminutenabstand funktioniert perfekt, und pünktlich um 09.02 Uhr überquere ich, wie geplant, die Startlinie. Bereits in der Haldenstrasse stehen in diesen frühen Morgenstunden die ersten Schaulustigen. In Richtung Schwanenplatz nehmen die Zuschauer ständig zu, die Stimmung ebenfalls. Jetzt geht es über die gesperrte Seebrücke. Über diese Brücke mitten auf der Strasse zu rennen ist bereits ein super Erlebnis, denn als Luzerner weiss man, dass diese Hauptverkehrsachse theoretisch gar nicht zu unterbrechen ist. Ich geniesse es und nehme die Mitte der Strasse, als gehöre sie mir. Herrlich!
Zwei Minuten später geht es unter dem grossen Dach auf dem blauen Teppich des Kultur- und Kongresszentrums Luzern (KKL) entlang. In den ersten zehn Laufminuten nahmen wir bereits eine geballte Ladung „Highlights“ auf. Das Feld ist relativ schnell unterwegs, und ich fühle mich gut, die Muskeln spielen mit. Wir kommen jetzt ins Tribschenquartier. Da sich mein Arbeitsort in unmittelbarer Nähe befindet, ist folgt ab jetzt meine sogenannte „Hausstrecke“. Es ist wie ein Heimspiel. Viele bekannte Gesichter stehen am Strassenrand, und einige erkennen mich und feuern an. Zwar ist man schnell an ihnen vorbei, aber man sieht sich ja am Lucerne Marathon mindestens zweimal, was auch ein grosses PLUS ist. Für den Zuschauer läuft somit immer was, Aktion pur.
Wie in Genf zeigt meine Polaruhr das Tempo gut 5 % zu schnell an. Mit meiner Kilometerzeit im Schnitt von 4:30 Minuten bin ich konstant und gut unterwegs. Der Puls mit 168 Schlägen liegt im guten Bereich, um eine vorzeitige Übersäuerung zu vermeiden. Das 3:15er Pacemaker-Team kann ich gut hinter mir lassen und auf Distanz halten.
Nach dem Shopping Center Schönbühl beginnt die erste Steigung. Es geht zügig voran. Schnell geht es danach abwärts, wo man wieder leicht Zeit kompensieren kann. Ich geniesse es so mitten auf der Strasse rennen zu können. Wirklich ein tolles Gefühl keine Rücksicht auf Fahrzeuge nehmen zu müssen.
Jetzt bei Kilometer 7 stehen wir vor der zweiten Steigung. Kurz bevor es aufwärts geht und man den Puls hochtreibt, spielt die Guggemusik Rüssbölle mit voller Kraft, was einem „Hühnerhaut“ und fast Flügel verleiht. Es geht locker aufwärts, jedoch mit dem klaren Bewusstsein, dass ich in gut 90 Minuten wieder an diesem schönen Fleck der Erde im Hang stehen werde, und es anders sein wird. Oben angekommen, kurz ein weiterer Schluck ISO. Ein Becher reicht, denn der Wasserverlust bei den frischen Temperaturen hält sich in Grenzen. Ja die Blase nicht füllen, denn eine „Wasserpause“ kostet fast eine Minute Zeit.
Jetzt geht es konstant abwärts, beim Hotel Kastanienbaum vorbei bis zum Seespiegel runter. Inzwischen befinden wir uns auf der idyllischen Horwerinsel fernab der Stadt, unmittelbar am Ufer des Vierwaldstättersees. Auf Energiegels verzichte ich auch diesmal konsequent. Der Genfer Marathon bestätigte mir, dass es auch ohne geht, und erst noch mit „PB“. Wunderschön ist der Lauf entlang der Promenade am See bis Horw. Vor uns liegen der Luzerner Hausberg Pilatus und das Stanserhorn, die eine prächtige Kulisse bieten. Es ist eine grüne Idylle und der perfekte Ausgleich zur Stadtmitte. Faszinierend und hinreissend sind die Zuschauergruppen, die an einem kalten Sonntagmorgen aufstehen, Stunden am Strassenrand stehen und anfeuern und zujubelnd. Es ist ein Volksspektakel.
Mitten auf dieser Halbinsel steht das Avia-Mobil, wo Freunde mich anfeuern und sogar mit Trommelhölzer antreiben (siehe Foto). Für das Interview fehlt mir leider die Zeit, aber einen Versuch war es wert (siehe Foto).
Ich laufe in Horw ein, wo eine super Stimmung herrscht und die erste Zwischenzeit genommen wird. Durch die Schrebergärten und über die Allmend gehts, bevor ich mich allmählich wieder dem KKL nähere. Die Zuschauerzahl hat sich nach meinem Empfinden nochmals verdoppelt. Unter dem grossen Dach steht Viktor Röthlin und feuert uns mitten auf der Strecke an. Ich kann ihm einen Handklatsch geben. Das ist Motivation pur. Und dann all die Zuschauer! Ein unbeschreibliches Gefühl. Man wird wie über die Strecke getragen. Es sind Momente, in diesen ich am liebsten die Zeit anhalten möchte.
Anfangs dieser Woche wurde ein Läufer bei einem Radiointerview gefragt, wieso er die Strapazen eines Marathons auf sich nehme. Der Läufer meinte, dass man dies nur verstehen kann, wenn man selber mal einen Marathon gelaufen ist. Mir gefiel diese Aussage, und ich kann dies nur bestätigen.
Ein zweites Mal überquere ich jetzt die Seebrücke. Partystimmung. Ich kann meinen Kilometerschnitt immer noch sehr gut halten. Links und rechts am Strassenrand rufen mir Freunde, Bekannte und Mitarbeitende zu. Ich bin natürlich mit dem rosaroten Shirt sehr gut zu erkennen. Zudem habe ich mit der Abgabe eines Zeitplans (siehe Links) ein bisschen nachgeholfen, dass Freunde wussten, wann und wo sie mich erwarten können. Dies setzte mich auch ein bisschen unter Druck.
Runter geht es jetzt die Haldenstrasse, die halbe Strecke ist bald geschafft. Mit einer Halbmarathonzeit von 1:35 h bin ich planmässig im Rennen. Das 3:15er Pacemaker-Team kommt mir ca. nach 500 m in der Gegenrichtung entgegen. (Somit habe ich noch gut vier Minuten oder 1 km Vorsprung!)
Gut 2/3 der Läufer sind Halbmarathonis und können jetzt bereits ins Ziel einlaufen. Die Läuferzahl minimiert sich stark auf der zweiten Runde. Wir nähern uns erneut dem Schwanenplatz und infolge des „Läuferschwundes“ wirken all die Zuschauer noch viel mehr auf mich ein. Es lohnt sich nur schon deswegen, eine zweite Runde zu machen.
Das erste Stechen in den Oberschenkeln blieb bisher aus. Beim Kilometer 30 spüre ich aber langsam, dass ich mehr Kraft brauche, das Tempo zu halten. Dies gelingt mir jedoch nur noch bedingt, und der langsame Kampf beginnt. Die berühmte „Mauer“ naht und das Durchbeissen beginnt. Es wird einem nichts mehr geschenkt. Bei den vielen Zuschauern in Horw wird man wieder „getragen“. Bei der Kilometertafel 34 rechne ich: Nur noch 8 km sind zu machen, eigentlich nichts mehr. Dies sind jedoch immer noch gut 45 Minuten. Jedenfalls genehmige ich mir jetzt an einem Getränkeposten einen weiteren Becher ISO (in der Hoffnung, es soll helfen) und gehe jetzt das erste Mail kurz ein paar Schritte. Ich höre plötzlich, wie eine Lawine auf mich zukommen. Es sind sicher 20 Läufer im Eiltempo. Sie kommen mir vor wie ein Schnellzug. Ich stehe da mit offenem Mund und im gleichen Moment sehe ich blaue Ballone und das 3:15er Pacemaker-Team.
Spätestens jetzt muss ich mein stilles Ziel, unter 3:15 h einzulaufen, vergessen. Ich versuche nicht mal anzuhängen, denn an diesem Punkt angelangt, kämpft man mit anderen Sorgen als die Zielzeit. Nicht, weil ich nicht will, aber man ist einfach platt. Ich muss mich jetzt konzentrieren, überhaupt noch in einem einigermassen guten Tempo zu rennen. Dies gelingt mir, aber es ist wirklich ein Krampf.
Wieder in der Nähe des KKLs komme ich zu Kilometer 39. Von da an muss ich bei den vielen Zuschauern einfach durchrennen und so gut, wie es geht, nichts anmerken lassen. Zu viele Zuschauer stehen unmittelbar neben dir und feuern dich an. Es ist wie ein Wunder, aber in diesem Moment spürt man den Schmerz kaum noch und vergisst alles, wenn man im Schwanenplatz die Kurve in Richtung Haldenstrasse und Zielschuss nimmt. Für einen saftigen Endspurt reicht es mir jedoch nicht mehr, und ich konzentriere mich einfach das Tempo gleichmässig zu halten.
Das ersehnte Verkehrshaus naht und zum zehnten Mal an einem Marathon kann ich die 42 km-Ziellinie mit Stolz überqueren. Der Speaker fängt mich gleich ab und fragt mich bei einem Interview, ob ich denn vor dem Marathon auf die Vermicelles verzichten musste!
Im Zielgelände darf ich die Medaille in Empfang nehmen, und mein treuer Marathonfreund Gertjan Krijnen (Gesundheitspraxis Löwen Center) wartet schon auf mich. Er erreichte das Ziel mit der super Zeit von 3.12 h. Er ist fast unterkühlt vom Warten :-)
Herzlichen Dank an all die Helfer, die dieses Spektakel ermöglicht haben. Dank auch an die Mitarbeitenden und Freunde am Strassenrand, die mich angefeuert haben. Speziellen Dank an meine Frau Piera (im 8. Monat schwanger), an meine Eltern und natürlich auch an das OK für die grandiose und minuziöse Organisation.
Am Abend geniessen wir bei Gertjan und Sonja eine Runde im Whirlpool mit Champagner (bis wir fast Schwimmhäute kriegen) und eine After-Pastaparty mit lieben Laufkolleginnen und -kollegen. Einmal mehr klingt ein perfekter Marathontag aus.